"Mein Leben fing hier neu an"

Abdulrhman Al Shalal ist der erste Lehrling im Bereich Applikationsentwicklung – Coding bei Anton Paar. Diese Tatsache ist an sich nicht außergewöhnlich, aber die Geschichte dahinter ist es.

Erste Schritte im neuen Leben

Es war der 8. Juni 2015 als Abdulrhman Al Shalal das erste Mal österreichischen Boden betrat. Der Iraker musste seine Heimat und seine Familie aufgrund von politischer Verfolgung zurücklassen. Nach ein paar Wochen in einem Zeltlager nahe Linz, kam der heute 29-Jährige in die Südsteiermark, in die Gemeinde Oberhaag. Für Abudi, wie ihn seine Freunde nennen, ein bedeutender Schritt: „Dort hat mein neues Leben angefangen.“ Mithilfe einiger Einheimischer, wie dem ehemaligen Direktor der Landwirtschaftlichen Fachschule Grottenhof Johann Robier, lernte er Deutsch. „Es war schwierig, denn die Menschen dort sprechen kaum Englisch, ich musste mit Händen und Füßen kommunizieren.“ Doch der Neuankömmling biss sich durch, nach fünf Monaten hatte er mit dem B1 sein erstes Deutsch-Zertifikat in der Hand. Um die Sprache noch besser beherrschen zu können, machte er vieles fortan nur noch auf Deutsch. So auch als er 2016 den Führerschein machte, auch wenn ihm das nur wenige zugetraut hätten. „Die Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer dachten, es sei zu schwer für mich. Doch ich habe gesagt: ‚Für mich ist nichts unmöglich‘ und dann war es auch so.“

Nachdem er einem Fußballverein und dem Roten Kreuz beitrat, absolvierte Abudi mehrere Praktika, um auch beruflich weiterzukommen. Denn obwohl sein Titel als Bachelor im Bereich Computer Science bereits 2016 anerkannt wurde, war es ihm aufgrund des laufenden Asylverfahrens untersagt, Geld zu verdienen. So brachte er sich in IT-Abteilungen diverser steirischer Unternehmen ein, bis er 2019 bei Anton Paar landete: „Maria Santner hat mir damals ein einmonatiges Praktikum ermöglicht. Bevor die Zeit vorbei war, habe ich sie gebeten, mich weiter zu behalten.“ Abudi half im Marketing-Bereich, Unterstützung für den Einwanderer kam auch von Seiten Human Resources. Zwei weitere Monate wirkte er im Web-Development, bei Fotoshootings, im Videorendering oder im Grafikdesign mit. 2020 kam Abudi für weitere drei Monate als Volunteer zu Anton Paar, mehr war ihm aufgrund seines Status nicht erlaubt. Doch er bekam noch einen Auftrag mit und entwickelte in den folgenden Monaten eine App für das Unternehmen.

Erster seines Fachs bei Anton Paar

 „Wie hast du es geschafft, bei Anton Paar unterzukommen?“, fragte ihn der Richter bei der Asylverhandlung wenige Monate nach seinem Volontariat. Denn Abudi hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Angebot vorliegen, dass er unbedingt annehmen wollte – eine Lehrstelle in einem der neuesten Lehrberufe Österreichs, Applikationsentwicklung und Coding. Der ehrgeizige junge Mann bekam einen positiven Bescheid und so konnte er die Stelle mit dem 4. Jänner 2021 offiziell antreten.

Nach einem etwas anderen Aufnahmeverfahren als es Lehrlinge üblicherweise erleben, ist Abdulrhman Al Shalal nun der Erste, der den Lehrberuf Applikationsentwicklung-Coding ausübt. Vier Jahre dauert es bis zum Abschluss. Als Applikationsentwickler erstellt Abudi dann Software-Anwendungen für verschiedenste Anwendungsfälle. Ob Browser-Anwendungen (Webseiten, Webshops oder auch Spiele) oder branchen- bzw. betriebsspezifische Applikationen (Laborsoftware, Steuerungssoftware, Forschungsdatenbanken, Kommunikationssysteme). „Das Einsatzgebiet ist sehr vielfältig und abwechslungsreich, das heißt aber auch, dass es für mich viel zu lernen gibt“, weiß der Wahlsteirer. Herausforderungen sieht er besonders im Erlernen diverser Programmiersprachen und Contentmanagementsystemen. „‘Learning by doing‘ ist mir besonders wichtig und das ist ein entscheidender Aspekt in meinem Beruf“, erklärt er. Neben den klassischen Aufgaben in seinem Lehrberuf hilft Abudi auch den Kolleginnen und Kollegen im Marketing und IT-Support. 

Motiviert und ambitioniert

Neben der Arbeit spielt Abudi noch Fußball, aufgrund der Pandemie war es in den letzten Monaten allerdings kaum möglich. Als Ausgleich hat er sich darum intensiv mit Naturfotografie beschäftigt, die Bilder veröffentlicht er auf Instagram und seiner selbst gebauten Website. Um einen Beitrag für die Bevölkerung zu leisten, fährt der ausgebildete Sanitäter und Einsatzfahrer regelmäßig mit dem Roten Kreuz mit: „Ich mache regelmäßig Wochenend- oder Nachtdienste, derzeit bin ich meist mit Equipment für Corona-Teststraßen in der Süd- und Oststeiermark unterwegs. Normalerweise fahre ich aber auch Einsätze.“

Für die Zukunft hat der ambitionierte Tausendsassa viel vor, sein großes Vorbild im Bereich der Technik ist kein geringerer als Tesla-CEO und Multimilliardär Elon Musk: „Ich möchte eine App entwickeln, die auf der ganzen Welt genutzt und geschätzt wird.“ Dass es dafür wohl Zeit und auch Glück braucht, ist Abudi bewusst: „Aber von nix kommt nix!“